Die Kirchturmkatze – Ziele erreichen

Ziele erreichen: Manchmal fixieren wir uns wochen-, monate- oder gar jahrelang auf ein Ziel und schaffen es trotz aller Bemühungen einfach nicht, dort hinzugelangen. Wenn die von uns gewählten Wege sich als Einbahnstraße herausstellen, sollten wir dann das Handtuch werfen oder gibt es vielleicht eine Möglichkeit, es anders anzugehen? Die Katze Carla versteift sich in dieser kleinen Fabel so sehr auf die Zielerreichung, dass ihr der Blick auf alternative Lösungswege versagt bleibt. Sie ist kurz davor, aufzugeben, als plötzlich eine Hummel in ihrem Heimatgarten landet.

Die Kirchturmkatze – Ziele erreichen | Geschichte zum Nachdenken 🎧 #podcast #Inspiration #Katzen

Katze Carla möchte ihre Ziele erreichen

Carla richtete den Blick aufwärts, während sie in gebückter Haltung durch das feuchte Gras des Pfarrgartens schlich. Die Morgensonne erhob sich langsam am Horizont und verlieh der feinen Schicht Raureif auf dem spitzen Dach des Kirchturms ein geheimnisvolles Glitzern. Heute würde ihr Tag werden, das spürte sie. Heute würde sie eine Lösung finden, um dort oben hinzugelangen und auf die Welt hinabzuschauen. An ihrem Lieblingsplatz neben einem kleinen Busch unter dem Apfelbaum angekommen, schaute Carla sich aufmerksam um – es war niemand in Sicht, der ihre Überlegungen unterbrechen konnte. Das beruhigte sie, denn Störungen schätzte sie bei ihrer anspruchsvollen Strategieplanung überhaupt nicht.

Carla ließ sich auf der Wiese nieder und leckte sich die Feuchtigkeit von den Vordertatzen. Dann legte sie ihren Kopf in den Nacken und fixierte den oberen Teil des Kirchturms, wobei ihr Schwanz sich gleichmäßig hin und her bewegte. Seit sie denken kann, wollte sie dort hinauf. Carla spitzte die Ohren. In der Ferne hörte sie ein dumpfes Brummen. Langsam näherte es sich, wurde lauter, bis schließlich eine Hummel auf einem der dünnen Buschzweige neben ihr landete. Carla beäugte das kleine Tier misstrauisch. Sie erinnerte sich gut an ihr letztes Zusammentreffen mit einem Insekt dieser Art – es war ihr schmerzhaft in Erinnerung geblieben.

Kirchturmspitze mit einigen Vögeln auf dem Dach

Persönliche Ziele erreichen: Die Katze Carla zieht es auf die Kirchturmspitze ihres Heimatgartens. Foto: Tante Tati / pixabay / Bearbeitung Tara Riedman

Eine (nervige?) Hummel

­»Ich habe dich gestern gesehen«, bemerkte die Hummel nach einer Weile.
­Carla kniff die Augen zusammen. Was sie hörte, missfiel ihr. Sie mochte es nicht, beobachtet zu werden – erst recht nicht, wenn sie Neues ausprobierte. Normalerweise begnügte sie sich damit, Tag für Tag unter dem Baum zu hocken und Pläne für ihren Aufstieg zu schmieden. Aber am Morgen zuvor hatte sie ein Experiment gewagt. Ihr Vater hatte immer gepredigt, dass sie erfolgreiche Vorbilder für die Jagd brauche. Warum sollte das nicht ebenso für alle weiteren Ziele gelten, die sie verfolgte. Also hatte Carla andere Tiere belauert und festgestellt, dass weder die Maus noch der Nachbarshund jemals den Versuch machten, auf das Kirchturmdach zu gelangen – sie schauten nicht einmal hoch. Die Spinne jedoch war schnurstracks und scheinbar mühelos das Mauerwerk emporgekrabbelt. »Was so eine winzige Spinne kann, kann ich schon lange«, hatte Carla gedacht und es auf dieselbe Weise versucht. Doch das stellte sich schnell als hoffnungsloses Unterfangen heraus. Die Wand war zu steil, sie selbst zu schwer und die Haftungskraft ihrer Tatzen nicht stark genug. Entmutigt hatte sie sich wieder an ihren Apfelbaumplatz zurückgezogen und auf das Grübeln beschränkt. Der Gedanke, dabei beobachtet worden zu sein, verursachte ihr Magenschmerzen.

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Warum die Kirchturmspitze, Carla?

­»Was hattest du vor?«, fragte die Hummel.
­»Ich weiß nicht, was du meinst«, wiegelte Carla ab.
­»Es sah aus, als wolltest du auf das Dach klettern.«
­Carla ignorierte die Hummel und fixierte den Kirchturm mit starrem Blick.
­»Du sitzt jeden Tag hier und schaust dort hinauf. Warum willst du es unbedingt schaffen? Was ändert sich dadurch in deinem Leben?«, setzte die Hummel nochmals an.
­»Muss ein Wunsch gleich lebensverändernd sein?«, antwortete Carla mit einer Gegenfrage. »Dieses Dach zieht mich magisch an«, ergänzte sie nach einer Pause. »Ich möchte näher an die Sonne heran und den wunderbaren Rundblick über das ganze Kirchengelände genießen, das ich sonst nur von unten sehe. Ich muss wissen, wie die Dinge aus der Vogelperspektive aussehen.«
­»Aber du bist eine Katze und kein Vogel. Du fängst Vögel«, warf die Hummel ein.
­Carla rollte mit den Augen. Das Insekt begann, sie zu nerven. »Das ist mir durchaus klar und Teil des Problems «, knurrte sie. »Wäre ich ein Vogel, würde ich einfach hinauffliegen.«

Eine Hummel fliegt zur Katze Carla, um ihr zu helfen

Eine kleine Hummel hilft Carla auf die Sprünge. Sie sorgt für klare Sicht und neue Blickwinkel, damit Carla ihre Ziele erreichen kann. Foto: Josef Pichler / pixabay / Bearbeitung Tara Riedman

Ziele erreichen – mit klarem Kopf und frischem Blick

Die Hummel überlegte. Kurz darauf erklang das gleiche dumpfe Brummen, mit dem sie zuvor angekommen war. Langsam hob sie vom Ast ab und flog ein Stück auf die Wiese hinaus. »Schau dort oben«, rief sie, nachdem sie auf einer Kleeblume gelandet war.
­»Ein Heißluftballon«, stellte Carla nüchtern fest. »Ich habe ihn bereits häufiger hier gesehen. Manchmal schwebt er genau über das Kirchendach hinweg.«
­»Darin sind Menschen«, bemerkte die Hummel. »Wusstest du, dass Menschen fliegen können?«
­Carla runzelte die Stirn und ging dann ebenfalls auf die Wiese. Gemeinsam betrachteten sie den türkis-weiß gestreiften Ballon, der gleichmäßig durch die Lüfte zog. Ein Mann mit welligem grauem Haar schaute über den Rand des Ballonkorbs hinweg und zeigte in ihre Richtung. Das Gesicht einer jungen Frau erschien neben ihm*.

* Diese Szene findest du auch in meinem Buch 10 STORIES of life »Glücklichsein« wieder – erzählt aus der Perspektive des Ballonfahrers Benjamin Wisely und seinen Fahrgästen Stella und Marius.

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»Das ist tatsächlich irritierend«, befand Carla nach einer Weile. »Sie können ebenso wenig fliegen wie ich, scheinen jedoch Gegenstände zu bauen, die ihnen Dinge über ihre natürlichen Fähigkeiten hinaus ermöglichen.«
»Kannst du das auch?«
­Carlas sehnsüchtiger Blick wanderte zurück zum Turm. »Nein«, antwortete sie einsilbig.
­»Was kannst du denn?«
­»Ich springe sehr gut. Sicher und weit. Mit dem richtigen Untergrund klettere ich flink und außerdem bin ich eine außerordentliche Beobachterin.
»Das ist doch auch etwas«, sagte die Hummel zufrieden.

Stärken erkennen und nutzen


­Carla senkte den Kopf. »Aber was nützen mir diese Stärken?«, maunzte sie. »Ich überlege schon so lange, beobachte das Dach und komme trotzdem zu keiner Lösung.«
­»Wie beobachtest du es?«
­»So wie ich es für die Jagd gelernt habe. Ich sitze an einer Stelle und fixiere das Ziel, bis sich die passende Gelegenheit zum Angriff ergibt.«
­»Für deinen Beutezug erscheint mir das sinnvoll«, stimmte die Hummel zu. »Doch würde ich mein Umfeld auf diese Art betrachten, hätte ich längst mein Leben verloren. Ich muss die Umgebung als Ganzes im Auge behalten, um Gefahren durch Vögel, Spinnen, Wespen und Hornissen sowie meine Fluchtmöglichkeiten zu erkennen.«
­Carla blinzelte. »Ich hocke immer am gleichen Platz beim Apfelbaum, wenn ich nachdenke.«
­»Komm mit«, forderte die Hummel Carla auf. »Ich möchte dir etwas zeigen.«

Katze Karla sitzt im Baum und schaut aus einer anderen Perspektive auf das Kirchturmdach

Möchten wir unsere Ziele erreichen, hilft oft ein Perspektivwechsel. Foto: Miezekieze / pixabay / Bearbeitung Tara Riedman

Ein neuer Blickwinkel bringt frische Ideen

Die Katze folgte dem Insekt rund um das Kirchengebäude herum bis weit auf den hinteren Teil der Wiese und anschließend hinauf in die Krone eines Kirschbaums. »Puh, du bist ganz schön schnell«, japste die Hummel. »Was hast du gesehen?«
In Carlas Augen funkelte Vorfreude. Ihr Kinn ruckte in die Richtung eines Baumes, rechts neben der Kirche. »Ich muss nicht direkt von unten auf den Turm, sondern nehme den Weg über das flachere Kirchendach und klettere von dort aus weiter.«
Die Hummel summte aufgeregt. »Du willst von dem Baum aus auf das Dach springen? Ist der Abstand nicht selbst für Katzen ein bisschen groß?«
»Das ist er wohl«, bestätigte Carla. »Aber ein- bis zweimal in der Woche kommt ein Lieferwagen, der vor dem Eingang zwischen Haus und Baum hält. Ich könnte das Wagendach zur Zwischenlandung nutzen.«
­»Ein wagemutiger Plan«, befand die Hummel anerkennend.
­»Ja«, stimmte Carla zu. »Und eine Chance, die ich bis jetzt übersehen habe.«
Zwei Tage später saß Carla tatsächlich auf dem kleinen Vorsprung des Kirchturmdachs.

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Weitwinkel statt Tunnelblick: Ziele erreichen durch Perspektivwechsel

Fokussieren wir uns mit Tunnelblick verbissen auf ein bestimmtes Ziel, übersehen wir schnell die Möglichkeiten links und rechts davon. Treten wir jedoch einen Schritt zurück und betrachten die Situation aus einem anderen Blickwinkel heraus, entdecken wir oft Dinge, die uns ansonsten verborgen geblieben wären. Schauen wir uns im Privatleben die Lage aus der Sicht unserer Freunde oder Familienmitglieder an. Im Beruf aus den Augen unserer Kunden oder Wettbewerber. Wie würden sie die Sache wohl sehen und bewerten? In jedem frischen Impuls steckt häufig bereits der Ansatz einer Lösung. Positive Vorbilder wirken dabei durchaus motivierend auf uns, doch sind wir meist gut beraten, sie nicht eins zu eins zu imitieren. Denn wir werden nie sie sein – und sie niemals wir. So wie eine Katze nun mal keine Spinne ist, die einfach die Mauern hochgeht. Machen wir uns unsere persönlichen Fähigkeiten also bewusst, nutzen sie und setzen sie gezielt ein. Nur so wird ein allgemeiner Plan zu unserem eigenen.

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