Freiheit oder Sicherheit: Der Hasenzaun

Liebst du die Freiheit oder ziehst du ein hohes Maß an Sicherheit vor? Welchen Preis bist du bereit, für deine Wahl zu zahlen?

Wir alle wollen sicher leben, das setze ich einfach mal voraus. Doch kannst du gleichzeitig maximal geschützt und frei sein? Diese Frage stellt sich die Häsin Hannah, die am Rande des Freiheitswaldes eigentlich ein weitgehend zufriedenes Leben führt – bis das Reh Rita eines Tages einen Fuchs sichtet.

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Nachdenkgeschichte: Der Hasenzaun

Die Häsin Hannah rupfte ein Büschel Gras aus der saftig grünen Fläche, die sich vor dem Eingang zum Freiheitswald erstreckte. Sie hoppelte ein Stück weiter, setzte sich auf ihre Hinterläufe und sah sich aufmerksam um. Hier wohnte sie nun schon ihr Leben lang und dieser Platz zwischen den hochgewachsenen Bäumen und dem weiten Feld war mit Abstand ihr Lieblingsort. Keine Stelle der Welt konnte in ihren Augen schöner sein. Am Waldrand entdeckte sie das Reh Rita.

Rita schaute mehrmals von links nach rechts, trat dann langsam aus dem Schutz der Bäume hervor und lief auf Hannah zu. Die Häsin zog die Nase kraus. Warum verhielt Rita sich so seltsam? Normalerweise war sie ein ziemlich ungestümes Reh und schneller bei ihr, als Hannah hätte flüchten können. Und das wäre manchmal durchaus angemessen gewesen, denn Rita redete gerne. Sehr gerne.

Die braun-weiß gefleckte Häsin Hannah ist ihre Freiheit wichtig, doch erwacht auch ein hohes Bedürfnis nach Sicherheit in ihr.

Erhöhte Sicherheitsmaßnahmen bringen zusätzlichen Schutz, doch haben sie auch immer ihren Preis. Foto: Andreas Schantl / unsplash / Tara Riedman

Gefahrensituation bewältigen – wenn Angst die Oberhand gewinnt

­Als Rita bei Hannahs Wiesenabschnitt ankam, legte sie sofort los und berichtete von einem Fuchs, den sie am Morgen an genau dieser Stelle gesichtet hatte. Ihr Blick schweifte unruhig durch die Umgebung.

­»Bist du dir sicher, Rita? Heute früh lag Nebel in der Luft, da kann man sich schon mal vertun«, meinte Hannah. Doch Rita beharrte darauf, den Fuchs gesehen zu haben. Hannah überlegte. Sie wusste, dass immer mal wieder Füchse auf der anderen Seite des Waldes entlangzogen. Ab und zu hatte sie auch auf dieser Waldseite einen gesehen, doch Hannah war umsichtig und ging nie allein zu weit aufs offene Feld hinaus. So hatte sie sich immer rechtzeitig verstecken können. Ihr Sicherheitsbedürfnis beschränkte sich auf ein Minimum, da sie die Freiheit und Selbstbestimmung liebte.

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Sicherheitsmaßnahmen erhöhen: Was kostet Sicherheit?

Rita riss die Augen auf, als Hannah keine Anstalten machte, sich umgehend in Sicherheit zu bringen. »Hannah, der Fuchs sah wirklich gefährlich aus, du musst dich schützen!«
»Ich kann sehr schnell rennen und Haken schlagen. Das hat bisher immer gereicht, wenn ich vor etwas flüchten musste«, beruhigte die Häsin das Reh.
»Aber dieser Fuchs war viel größer als die anderen und hatte spitze, scharfe Zähne«, rief Rita. »Wirklich! Ich stand doch ganz nah dran. Lass uns wenigstens einen Zaun um dich herum bauen, wenn du hier weiterhin jeden Tag auf der Wiese bleiben willst. Ich laufe sofort zum Biber und lasse ihn die Latten zurecht nagen.«
Hannah seufzte und willigte schließlich ein. Ein kleines Sicherheitszäunchen konnte wohl nicht schaden.

Sicherheit in Gefahr: Das Reh Rita schürt Angst in der Fabel vom Hasenzaun.

Das Reh Rita weckte bei Hannah mit ihrer Geschichte vom Fuchs ein erhöhtes Bedürfnis nach Sicherheit. Foto: CongerDesign / pixabay / Tara Riedman

Freiheit vs Sicherheit: schleichender Verlust der Freiheit

Als Rita den Zaun um Hannah herumgezogen hatte, schien sie zufrieden. Die Häsin rupfte weiter Gras und hüpfte hin und wieder über den Zaun hinweg an ein anderes Plätzchen.
»Das geht so nicht«, stellte Rita fest. »Der Fuchs kommt sicher bald wieder und ist ruckzuck in der Sicherheitszone. Da wird er dich reißen!«
Hannah kratzte sich mit dem Hinterlauf am Löffel. Sie schauderte. »Aber was ist mit dir und den Bibern? Seid ihr nicht auch in Gefahr?«
»Die Biber leben am Wasser und tauchen schnell unter, da kommt der Fuchs nicht hin. Und an mich geht er nicht ran, Füchse sind nur für unsere Rehkitze gefährlich.« Ritas Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Hast du das gesehen?«, flüsterte sie. »Da hinten im Busch hat sich etwas bewegt. Himmel, das ist bestimmt der Fuchs!«
Hannah schluckte. »Okay«, sagte sie. »Du hast wohl recht. Würdest du den Zaun für mich erhöhen?«

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Hoher Sicherheitslevel: Kosten für die Sicherheit

Der Hasenzaun wurde höher und höher. Irgendwann konnte auch Hannah nicht mehr über ihn springen. Sie blieb also auf ihrem abgesteckten Terrain, fraß Gras und entschloss sich, dort auch zu übernachten. Bis zum Hasenbau war es ein ganzes Stück, wer wusste schon, wo der Fuchs noch überall auftauchen würde. Hier konnte ihr nichts passieren. Sie beobachtete die größeren Tiere, die hin und wieder an ihr vorbeispazierten und freundlich grüßten. Eigentlich war alles wie immer – doch irgendetwas fehlte.

Ein Fuchs schlecht in der Fabel vom Hasenzaun durch den Wald und nimmt den Bewohnern das Gefühl von Sicherheit.

Freiheit und erhöhte Risikobereitschaft gehen Hand in Hand – es gibt das eine nicht ohne das andere. Foto: CocoParisienne / pixabay / Tara Riedman

Fokusfalle und Panik: Wie wir uns selbst einsperren

Als Hannah aufwachte, stand Waschbär Winny auf der anderen Zaunseite und tippte mit der Kralle gegen eine Holzlatte. »Was ist das?«, wollte er wissen.
»Ein Zaun«, erklärte ihm die Häsin das Offensichtliche.
»Das sehe ich. Aber warum bist du da drin?«
»Rita hat einen Fuchs gesehen.«
»Und vorher waren hier keine Füchse?«, fragte Winny.
»Doch schon. Aber selten.«
»Und hast du jedes Mal einen Zaun um dich herum gebaut?«
Hannah zögerte. »Nein, natürlich nicht«, murmelte sie.
»Wieso nicht?«
»Keine Ahnung. Vielleicht habe ich mich sonst nicht so verrückt machen lassen.«
»Verstehe«, antwortete Winny. »Die Fokusfalle.«
»Was ist eine Fokusfalle?«
»Das, worauf du deine Aufmerksamkeit lenkst oder lenken lässt, rückt in den Mittelpunkt. Erst dann nimmst du es richtig wahr. So kann dich plötzlich etwas in Panik versetzen, das vorher in ähnlicher Weise auch schon da war, eben nur weniger Beachtung hatte.«

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Wie viel Freiheit aufgeben für Sicherheit?

»Du meinst die Fuchsgefahr?«
Winny nickte. »Du hattest die Situation bisher doch ganz gut im Griff, oder? Jedes zusätzliche Stückchen Sicherheit hat einen Preis. Welcher war deiner?«
Hannah senkte den Kopf. »Meine Leichtigkeit und ein Teil meiner Freiheit.«
»Puh, das ist ganz schön teuer«, fand der Waschbär. »So viel ist dir das Sicherheitsplus wert?«
»Nein«, antwortete Hannah, ohne zu zögern.
»Aber warum zahlst du dann einen Preis, der dir eigentlich zu hoch ist?«
»Tja«, murmelte Hannah. »Das ist eine wirklich gute Frage.«

Was Hannahs Geschichte uns zeigt

Rückt das Thema Sicherheit durch äußere Umstände zu sehr in den Fokus, kann das dazu führen, dass du deine Freiheit und Leichtigkeit Stück für Stück verlierst. Hannah merkt, dass sie durch die Angst vor einer möglichen Gefahr immer mehr auf das verzichtet, was ihr eigentlich wichtig ist: die Unabhängigkeit. So hat jede zusätzliche Sicherheitsstufe, die du in dein Leben einbaust, ihren Preis und es liegt an dir, zu entscheiden, wie viel Freiheit du dafür bereit bist zu opfern.

Mehr zur Fokusfalle findest du in meinem Beitrag: Tunnelblick – gefangen in der Fokusfalle (Verlinkung folgt, sobald der Artikel online ist)

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